Manchmal fühlt man sich wie eine wandelnde Dartscheibe“

 

9. Abrahamisches trialogisches Religionsgespräch der AES

 

 

Nein, diesmal waren es nicht die theologischen oder dogmatischen Fragen, die die Schüler/innen der Jahrgangsstufe 10 der AES Schwalbach den drei diskutierenden Vertreter/innen der drei abrahamischen Religionen stellten. Vielmehr die ethischen und lebenspraktischen Fragen standen im Vordergrund, und Petra Kunik von der jüdischen Gemeinde Frankfurt, die Soziologin und Muslima Hilal Akdeniz und Pfarrer Andreas Heidrich stellten sich diesen Fragen beim „Abrahamischen Trialog“ der AES im Bürgerhaus Schwalbach.

Einig waren sich die drei in ihrer Wahrnehmung, dass das Klima unter Teilen der Bevölkerung in den letzten Jahren rauher, die Stimmung hitziger geworden und die Hemmschwelle für Beleidigungen gesunken sei. So berichtete Hilal Akdeniz davon, dass sie viel häufiger als früher in der Position sei, sich für Untaten vermeintlicher Muslime rechtfertigen zu müssen. Dabei ließ sie es an klaren Worten nicht fehlen: „Ich bin es leid, mich im Namen solcher Vollidioten entschuldigen zu müssen: Das sind keine wirklichen Muslime, weil der Koran das Töten eindeutig verbietet. Meist handelt es sich um hormongesteuerte Menschen, die sich in der eigenen Religion gar nicht auskennen.“

 

 

Bisweilen verlaufen solch offene Diskussionsrunden ähnlich einer Schachpartie: Schon die ersten Züge geben Richtung und Charakter der gesamten Partie vor. Und weil Yannik Kerkhoff, einer der Moderatoren aus der Stufe 10, mit einem eher offensiven Impuls begann, indem er nicht nach den Gemeinsamkeiten, sondern vielmehr nach den Problemen im gemeinsamen Umgang der Religionen fragte, verlief die Debatte von Anfang an lebhaft. Hilal Akdeniz stellte anfänglich klar, dass es sich bei den islamischen Propheten keinesfalls um fehlerlose „Übermenschen“ handle, sondern Allah bewusst auch Menschen mit Makeln als Gesandte ausgesucht habe. Ihrerseits wollte sie den Islam nicht, wie von einigen Hardlinern anderer Religionen behauptet, als „Wurmfortsatz“ des metaphorischen „Darmes der Religionen“ betrachtet wissen, nur weil er zeitlich gesehen die letzte der drei Religionen darstelle. Andreas Heidrich wiederum stellte dar, wie sehr ihn die Aussage mancher Muslime treffe, die Christen hätten die heilige Schrift verfälscht. Hilal Akdeniz bot ihm an, sich die betreffenden Koranverse einmal gemeinsam näher anzusehen, da ja jede Übersetzung das Problem in sich berge, das arabische Original nicht genau wiederzugeben, zumal wenn die Verse auch noch aus ihrem Kontext gerissen würden.

 

Eine weitere lebenspraktische Fragestellung war die nach der Position der Religionen zur Abtreibung. Petra Kunik machte klar, dass im Judentum das Wohl der Mutter stets den Vorrang vor dem des ungeborenen Kindes habe. Akdeniz betonte, eine Abweichung von einer Norm sei im Islam kein Grund, eine Abtreibung vornehmen zu dürfen.

Zum anderen wollten die Schüler/innen wissen, wie die Religionen zur Homosexualität stünden. Andreas Heidrich berichtete von der Möglichkeit, als Pfarrer Segnungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern vorzunehmen, was er auch selbst schon getan habe. Petra Kunik zitierte den Beschluss der Frankfurter Gemeinde zur Frage, was man denn Familie nennen dürfe: Familie sei dort vorhanden, wo Menschen in freiwilliger Liebe sich träfen und Verantwortung füreinander übernähmen.

 

Eine Schülerin wollte von den beiden Damen erfahren, ob sie denn bisweilen Angst hätten, sich offen als Vertreterin ihrer Religion zu zeigen. Akdeniz berichtete, dass in der Tat einige ihrer Freundinnen ihr Kopftuch nicht mehr tragen würden, weil sie sich nicht mehr länger gewissermaßen als „wandelnde Dartscheibe“ den Anfeindungen etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln ausgesetzt wissen wollten. Kunik stellte dar, dass ihr Name sogar auf den schwarzen Listen des sogenannten „NSU“ gestanden habe; sie sei aber eine Löwin und werde in solchen existentiellen Situationen eher noch entschlossener und stärker. Einzig als ihr Enkelsohn einmal unmittelbar nach der Attacke auf einen Frankfurter Rabbiner am Frankfurter Hauptbahnhof mit einem Pullover bekleidet gewesen sei, auf dem die israelische Flagge abgebildet war, habe sie Angst um sein Wohlergehen bekommen und ihn gebeten, das Kleidungsstück auszuziehen.

 

Der lang anhaltende Applaus am Ende der Veranstaltung machte deutlich, dass die Veranstaltung den Nerv der Schüler/innen getroffen hatte. Moderator Jochen Kilb dankte seitens der AES noch den Sponsoren und Unterstützern der Veranstaltung, u. a. dem Abrahamischen Forum, dem Bundesinnenministerium, der Dr.-Buhmann-Stiftung und der CJZ Main-Taunus sowie dem Jugendbildungswerk der Stadt Schwalbach, das die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hatte. So dürfte der nächstjährigen „Jubiläumsausgabe“ des Religionsgespräches aus derzeitiger Perspektive nichts im Wege stehen, denn, wie Hilal Akdeniz es zu Beginn formulierte: „Interreligiöse Dialog-Veranstaltungen werden in Tagen wie diesen immer wichtiger.“

 

 

 

Jochen Kilb, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit AES

 

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