Foto: J. Kilb

 

SCHWALBACH. Gebt ihm einen mit Menschen gefüllten Saal, und der rote Dany hat sie immer noch alle im Griff. Ganz in Grau gewandet und doch so ganz anders als ein seriöser, grauer Herr, nahm Daniel Cohn-Bendit gestern nicht etwa auf einem Stuhl, sondern doch lieber auf der Tischkante in der Aula der Schwalbacher Albert-Einstein-Schule Platz, um über ein unbequemes Thema mit den Gymnasiasten zu sprechen: Nachhaltigkeit in Europa.

 

Das Vertrauen der Schüler in die Politik der Europäischen Union sei gering, berichtete ein Lehrer dem Referenten aus den vorausgegangenen Lehreinheiten zum Thema. Und Reinhard Schmidt, Fachsprecher für Politik und Wirtschaft an der Schule, ergänzte, die egoistische Politik der Europäischen Regierungschefs schaffe eine große Skepsis gegenüber der EU unter den Schülern.

 

In früheren Jahren wäre der Frankfurter Langzeit-Europapolitiker, der derzeit wieder für die französischen Grünen im Parlament sitzt, nach dieser Ansage aufgesprungen und hätte eine lange, leidenschaftliche Rede gehalten. Gestern bliebe der Achtundsechziger zwar sitzen, aber sein gestenreiches Werben um die europäische Idee dauerte immerhin 45 Minuten lang.

 

Es gab eine Geschichtsnachhilfestunde à la Cohn-Bendit, die es in sich hatte: Er sei 1944 während der Landung der Alliierten in der Normandie gezeugt, in Frankreich 1945 geboren und als Baby von der Nazi-Umklammerung befreit worden, versuchte Cohn-Bendit den viel später Nachgeborenen klarzumachen, was ein langlebiger Friede für Europa bedeute. Der nachhaltigste Erfolg der Europäischen Union sei eben dieser Friede und das ein Krieg zwischen Deutschland heute so unwahrscheinlich sei wie eine Schlacht zwischen Bayern und Preußen. Diese Friedensrealität nannte er „etwas ganz Neues, sehr Kostbares in Europa“. Der Grünen-Politiker sprach vom „schwierigen Unterfangen Europa“. Aber auch bei den Nationalstaaten habe es schließlich fünf Jahrhunderte gedauert, um die demokratische Verfasstheit zu festigen. Und nach der Französischen Revolution habe es noch einmal 150 Jahre gebraucht, bis auch die Frauen in Frankreich das Wahlrecht erhalten hätten. 50 Jahre Europäische Union seien vor diesem Hintergrund „doch gar nichts“.

 

Die Kritik am Euro ließ Cohn-Bendit ebenso nicht gelten: Der Preis für die deutsche Einheit sei das Ende der D-Mark gewesen. Und die Exportnation Nummer eins, Deutschland, profitiere am meisten von dem offenen Markt, von all den Portugiesen und Griechen, die mit ihrem Euro deutsche Produkte kauften. Wer dennoch frage: „Warum sollen wir für die Schlampereien und die Korruption der Griechen oder Spanier zahlen?“, der müsse auch wissen, dass es deutsche Unternehmen gebe, die von den staatlichen Aufträgen in Griechenland profitiert hätten.

 

Alle „Sirenen“, die glauben machen wollten, Fragen der Wirtschaft und Ökologie ließen sich national regeln, lügten sich in die Tasche, ereiferte sich Cohn-Bendit. Solidarität sei nicht einfach, aber eine Abkehr von der Europäischen Idee wäre ein Irrtum. Dafür gab es großen Applaus.

 

Das Hoffen der Schüler auf einen möglichst schnellen Atomausstieg auf europäischer Ebene musste Cohn-Bendit den Jugendlichen aber nehmen: Es gebe keine Mehrheit gegen die Atomenergie in Europa, stellte er nüchtern fest. Nicht nur ergraut, sondern ein wenig weise geworden, setzt der einstige Barrikadenstürmer deshalb auf kleine Schritte: Wenn Deutschland nachweise, dass die stärkste europäische Wirtschaft ohne Atomkraft und ohne Kohlekraft auskomme, werde dies den Druck auf die Nachbarn erhöhen – und zwar vor allem aus finanziellen Gründen.

 

Jene Milliarden Euro, die in Sicherheit und Nachsorge von Atommeilern gesteckt werden müssten, könne kein europäischer Staat aufbringen. Doch wie von der Französischen Revolution bis zum Frauenwahlrecht – es „bleibt ein langer, schwieriger Weg“.

 

Quelle: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom Samstag, 07. Mai 2011 (Nr. 106), Seite 59

 

 

 

Bericht der ehemaligen Schüler Christopher Martin und Janis Langer, erschienen in der "Schwalbacher Zeitung" am Mi., 11. Mai:

 

Nachhaltiges Europa?

Albert-Einstein-Schule erhält anlässlich des Projekttages zum Thema „Nachhaltigkeit in Europa“ Unterstützung durch Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit

Seit 1964 erinnert der Europatag an die Gründung des Europarates am 5. Mai 1949. So auch am vergangenen Freitag in der Albert-Einstein-Schule. Zu diesem Anlass besuchte Europaabgeordneter Daniel Cohn-Bendit die Politik- und Wirtschaftskurse der Jahrgangsstufe 12, um ihnen das Thema der „Nachhaltigkeit in Europa“ näherzubringen.

 

In einem knapp 45-minütigen Vortrag und einer anschließenden Diskussion im Plenum, moderiert von Reinhard Schmidt (Fachschaftssprecher Politik und Wirtschaft), bemühte Cohn-Bendit sich, den Schülern die Zusammenhänge in der EU in Bezug auf nachhaltige Entwicklung zu verdeutlichen. Zusätzlich unterstützten Spezialisten der GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit), Procter & Gamble, BioFrankfurt, Gesellschaft für Wirtschaftsökologie, Main Taunus Recycling GmbH, Agentur AUF und der Schwalbacher Bio-Bäckerei Reichert sowie zahlreiche Lehrer die Schülerinnen und Schüler mit aufschlussreichen Workshops.

 

In diesen wurde beispielsweise der „Ökologische Fußabdruck“  thematisiert, oder was sich hinter dem Begriff „Ökosystem-Serviceleistungen“ verbirgt. Bei diesen „Serviceleistungen“  handelt es sich um einen Sammelbegriff für die Vorgänge in der Natur, aus denen der Mensch einen Nutzen zieht. Dazu zählen unter anderem die Photosynthese, bei der Pflanzen CO2 in Sauerstoff umwandeln, aber auch weniger offensichtliche Komponenten wie die Artenvielfalt.

 

In einem anderen Workshop konnten sich die Schüler aktiv an einer Schulinspektion beteiligen, bei  der das Gymnasium auf ökologische Nachhaltigkeit überprüft wurde. Das Ergebnis: Vor allem das neue Passivhaus und die Gasheizung, aber auch die zum Teil mit Bewegungsmeldern ausgestatteten Lichtschalter konnten im Sinne der Nachhaltigkeit punkten.  Allerdings  gibt es auch noch viel zu tun; besonders der ältere Teil der Schule ist nicht optimal isoliert und verbraucht so mehr Energie.

 

Über die zunehmende Bedeutung von Bio-Produkten in der heutigen Gesellschaft  konnten die Schüler aus erster Hand erfahren: Zusammen mit der Bäckerei Reichert erläuterten Lehrkräfte der AES die Trendwende zur Bionahrung. Abschließend wurden in der Schulküche Brötchen gebacken.


Den Höhepunkt des Tages markierte Cohn-Bendits Vortrag. In der anschließenden Diskussion beantwortete er offen und unkompliziert alle Fragen, die ihm die Schüler stellten. Neben den Lufteinsätzen in Libyen interessierte die Schüler vor allem die Frage, ob es Maßnahmen auf Europaebene geben werde, die den Atomausstieg betreffen. Cohn-Bendit erklärte, dass dies in der Hand der jeweiligen Länder läge. Seiner Meinung nach wird Deutschland jedoch eine große Rolle im europaweiten Atomausstieg spielen: Wenn Deutschland es schafft, in  Zukunft komplett auf Atomstrom zu verzichten – d.h. sowohl alle Atomkraftwerke im eigenen Land abzuschalten als auch den Import von Atomstrom einzustellen – dann wird dies, so Cohn-Bendit, mit Sicherheit die Diskussion in Ländern wie Frankreich beeinflussen.

Trotzdem betonte er, dass es die Nachhaltigkeit in Europa nur dann geben könne, „wenn wir es schaffen auf europäischer Ebene Gesetze zu machen, die für alle verbindlich sind.“ „Global denken – lokal handeln“ ist zwar ein gutes Prinzip, aber es wirkt nur dann, wenn sich alle daran beteiligen.

Schlusslicht des Tages war der „Markt der Möglichkeiten“. Hier bekamen die Schülerinnen und Schüler in der Aula die Chance, sich über ihre Workshop-Themen, die Diskussion mit Cohn-Bendit oder den Geschmack der Bio-Brötchen auszutauschen.

 

Obwohl einige Schüler diesem Tag mit Skepsis entgegen geblickt hatten, waren die meisten von der praxisorientierten Umsetzung positiv überrascht. Insgesamt konnte die Veranstaltung zum nachhaltigen Europa ihrem Zweck gerecht werden und schien die Schüler mit ihrem vielfältigen Angebot für politische Themen zu begeistern.


Christopher Martin und Janis Langer

 

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